Hobbes oder Rousseau

Benno Fries ist zuhause. Er hat zwei Tage frei und bringt nun wieder den 7-jährigen Frieder in die Schule und die 3-jährige Maja in den Kindergarten. Und schon kommt die Mutter von Majas Freundin Esther auf ihn zu und erzählt ihm freudestrahlend, dass ihre Tochter es beim Rechenwettbewerb als einzige geschafft habe, bis 50 zu erzählen. Benno schüttelt nur den Kopf und sagt, er halte nichts von solchen Wettbewerben. Die Kindergärtnerin antwortet Ihm, nach ihrer Erfahrung sortierten sich tatsächlich schon im Kindergarten die Kleinen als Sieger und Verlierer. Allerdings seien die „Sieger“ weniger bereit, anderen Kindern zu helfen.

Hier stellt der Film die Frage: Ist es wirklich so, dass der Mensch per natura ein egoistisches Individuum ist, wie Thomas Hobbes lehrte? Oder ist der Mensch von vornherein als soziales Wesen auf Kooperation und Hilfsbereitschaft angelegt, wie Jean-Jacques Rousseau es behauptete? Seit rund 20 Jahren forscht an der Yale Universität in den USA ein Wissenschaftlerteam um Nicholas Christakis und Paul Bloom zu dieser Frage. Psychologen, und Primatenforscher fanden heraus, dass Attribute wie Mitgefühl, Altruismus und Hilfsbereitschaft sowie die Fähigkeit zur Kooperation zu den fundamentalen Eigenschaften des Menschen zählen. Ausgangspunkt sind entwicklungspsychologische Studien, die bereits im Babyalter ansetzen und das Bild eines Menschen zeigen, der hochgradig kooperativ ist: In ihren Studien zeigen sie, dass bereits Babys in den ersten Lebensmonaten über ein moralisches Urteilsvermögen, eine Art Gerechtigkeitssinn und spontan altruistische Verhaltensweisen verfügen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt ein Forscherteam des Max-Planck-Instituts um Tania Singer und Felix Warnecken bei einer Studie über etwas ältere Babys.

Doch wie kann es dann sein, dass unsere Gesellschaft so sehr von Selbstbezogenheit, Materialismus und Geldgier beherrscht wird? Die Vermutung liegt nahe, dass schon Kleinkinder von den kulturellen Rahmenbedingungen geprägt werden, die für die Förderung kooperativen Verhaltens nicht förderlich sind. Denn „altruistisches, uneigennütziges Verhalten zahlt sich in unserer Gesellschaft eigentlich nicht aus und wird schon im Kindergarten und vor allem in der Schule ausgenutzt. Wer regelmäßig seine Hausaufgaben abschreiben lässt, wird allenfalls als Streber eingeordnet“, sagt der Entwicklungspsychologe Manfred Tücke.