Moderne Sklaven

 Agadez, Niger: Wir treffen Muhammed Yusuf, einen 24-jährigen Nigerianer aus Kaduna, an einer staubigen Bushaltestelle in Agadez im nördlichen Nachbarstaat Niger. Er wurde von seiner Familie ausgewählt als der Kräftigste und der Cleverste des Clans. Seit den 80er Jahren sind die meisten von ihnen arbeitslos. Für die Nachwachsenden scheint Europa die einzig realistische Perspektive. So haben sich die Eltern schweren Herzens entschieden: Muhammed Yusuf trauen sie zu, den Traum vom besseren Lebens in Europa zu verwirklichen. Doch nun  ist er schon wieder zurück, zurück aus Libyen, wo er auf dem geplanten Weg nach Europa sechs Monate lang verkauft und gefoltert wurde.

 Von uns zunächst unbemerkt taucht aus den Massen, die die Oasenstadt Agadez am Rande der Sahara überschwemmen, Yusufs Schlepper auf. Yusuf schreit ihn an, wegen ihm sei sein Freund in Lybien gestorben.  Abahi (nicht sein richtiger Name), zuckt nur mit den Schultern, es tue ihm leid. Verzweifelt und hungrig fragt Yusuf, ob er wenigstens etwas zu essen habe. Abhai antwortet im Gehen: „Gott wird Dir helfen.“

 Heute ist das Agadez die nördlichste Stadt, die Westafrikaner ohne Papiere erreichen können – ein Teil der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten, die Zoll- und Visumfreiheit für die Region garantiert. Das hat Agadez zu dem Ort gemacht, wo sich die meisten mit dem Traum vom besseren Leben in die Hände von Schleppern und Schmugglern begeben.

 Doch Yusuf ist von dieser Odyssee schon zurück - ernüchtert, ausgebrannt und hoffnungslos. Jetzt wieder zu den Eltern zurückzukehren, das werde er nicht überleben. Mit den Ersparnissen der Familie hatte er sich vor Monaten zusammen mit seinem Freund Bundu auf den Weg nach Agadez gemacht. Er war von seinen Freunden vor den Schrecken in Libyen gewarnt worden, sich nicht dem falschen Schlepper anzuvertrauen. Aber Abhai schien ihnen ehrlich, und so buchten sie bei ihm die Passage über Algerien nach Italien.

 Er wusste, dass es einen Weg durch die Wüste nach Algerien gibt. Aber in der Wüste gebe es keine Wegweiser. Und nach vier Tagen hörte er, „Willkommen in Libyen“. Yusuf glaubte zu träumen, doch dann hätte er schon bald bemerkt, dass Abhai ihn und seinen Freund Bundu an einen Mittelsmann verkauft hatte. Der fesselte ihnen die Hände und aneinandergebunden wie Ziegen seien sie zu viert auf die Ladefläche eines Toyota Hilux verfrachtet worden. In der libyschen Stadt Sabha, einst berühmt als Heimat von Gaddafi, habe man sie neben einer beliebten Bäckerei auf die Straße geworfen unter einem Schild „zu verkaufen“. Ein in Sabha ansässiger Herr namens Tukur, der traditionelle Roben trug und von zwei sperrigen Schergen flankiert war, kaufte ihn und seinen Freund. „In Tukurs Haus sprachen sie nur englisch und schrien Geld, Geld, Geld, wir sollten die Eltern anrufen und sie um Lösegeld von Hunderten Dollar bitten. Die Eltern sagten jedoch, sie könnten unmöglich zahlen. Da wurden wir so geschlagen, dass sie am Telefon unsere Schreie und Klagen hörten. Ich musste mit ansehen, wie unter den Schlägen mein Freund Bundu starb.“ In der Verwirrung über den Tod habe er aber zum Glück fliehen können. Ein Fahrer erbarmte sich seiner. Den Lohn für die Mitnahme holte er sich bei der Internationalen Organisation der Vereinten Nationen für Migration. Die bezahlt die Rückreise der tausenden Unglücklichen ins nigerianische Agadez. Die UN-Agentur will Yusuf auch die Fahrkarte zurück nach Nigeria zu den Eltern bezahlen. Doch Mohammed Yusuf würde lieber sterben vor Scham. „Ich habe es versaut. Und nur ich bin selbst dran schuld